Annika Allgeier

Meine wirkliche Hunde-Karriere begann wohl mit Anfang 20, als ich den Hund meines kranken Vaters erbte.
Ein 70cm Kaliber von Hund, in dessen Adern u.a. das Blut eines Irish Wolfshounds floss, mit ebenso großem Selbstbewusstsein, den man wohl keinem Anfänger hätte geben dürfen. Mir stellte sich die Frage nicht, hatte er mich doch an den Besuchswochenenden durch so manches Tief der Pubertät begleitet, bedingungslos loyal, treu und stark, das war ich ihm schuldig, wenn auch selbst gerade mit Adoleszenzkrise zu Gange.
Wir begannen quasi bei Null, denn Kooperation war für den Guten eher Neuland, ebenso wie für mich die Hundeerziehung. Er fand spazieren gehen im Stadtpark nach einem weitgehend selbstbestimmten Leben auf dem Land recht ungewohnt, wollte jedes Tier hetzen und so ziemlich jeden Rüden töten und manchmal war mein Arm dabei im Weg…
Ich geriet an meine Grenzen, aber auch an eine sehr kompetente Trainerin, verschlang Hundebücher, lernte ihn und auch andere Hunde zunehmend besser zu lesen und einzuschätzen - und er ein bisschen Knigge gegenüber Artgenossen und Menschen. 

Wir durchwanderten gemeinsam die Hörsäle während meines Studiums der Sozialpädagogik, inklusive dem ersten Praktikum im Jugendzentrum. Damit war der Anfang meiner tiergestützten Ausrichtung getan, denn er konnte die härtesten Halbstarken auf so wundersame Weise erreichen (und erweichen), sie dockten bei ihm an. Vielleicht, weil er so riesig und respekteinflößend war, aber zugleich so gutmütig und ein guter Tröster? Alle Seiten profitierten davon und so folgte bald ein Fachpraktikum im tiergestützten Bereich, bei dem - von Huhn bis Esel im Gepäck- pädagogische Einrichtungen aufgesucht wurden. Ich beschloss, meine Diplomarbeit über den tiergestützten Einsatz in der Jugendhilfe zu schreiben. Zeitgleich zog ein junges, spanisches Hütehundmädchen aus dem Tierschutz bei uns ein und bildete das liebliche Gegengewicht zu dem mittlerweile alten Zottelriesen. Ich verwarf bald die ursprüngliche Idee, mit ihr eine Therapiehundeausbildung zu machen, denn sie war einfach perfekt im Umgang mit großen, kleinen, besonderen Menschen. In stetiger Abstimmung mit mir lief sie durchs Leben und tat den Menschen gut, in der Jugendhilfe, der Sozialpädagogischen Familienhilfe, in der Arbeit mit Menschen mit geistiger und seelischer Beeinträchtigung, mit suchtkranken Menschen… und es war erstaunlich, welche Entwicklungen sich bei den Menschen zeigten durch die Interaktion mit dem Hund. Ängste traten in den Hintergrund, trotz Depression und Rückzug aus dem öffentlichen Leben sprangen sie auf Spaziergänge und freudige Spielsequenzen an, Aggressionen und Unruhe wurden speziell bei Kindern zu einer eher theoretischen Nebenerscheinung und Zärtlichkeiten wurden ausgetauscht. Ebenso wurden aber auch Grenzen gesetzt, wenn Menschen zu übergriffig wurden oder ihre Bedürfnisse zu weit vorn anstellten, dann zog sie sich einfach raus.

Als unser großer Beschützer und heimlicher Chef uns mit 14 Jahren dann doch irgendwann verlassen hatte, war Zeit für Neues und ein gewisser Ausgleich nötig durch die teils sehr fordernden Tätigkeitsbereiche meines Berufs.
So begannen Hündin und ich neben der Wohngruppe in unserer Freizeit bei einem Schäfer zu arbeiten, woraus irgendwie fünf Jahre wurden. Es faszinierte mich, wie die Zusammenarbeit zwischen Schäfer, Herde und den altdeutschen Hütehunden so ablief und das wollte ich lernen. Wir schienen gut integrierbar sowie brauchbar, wenngleich es oft eine weniger romantische als knochenharte Arbeit bedeutete, für alle Seiten. Ebenso wie ich wuchs auch meine kleine Therapeutin über sich hinaus, obwohl es ihr etwas an Durchsetzungsvermögen mangelte und sie bei der Arbeit an den Schafen eher den Ansatz von Schweinchen Babe verfolgte. Die Arbeitshunde kompensierten es aber mit Übereifer, ihnen wurden, im Gegensatz zu meiner Hündin, auch keine Fehler verziehen.

Mein Hauptberufsfeld blieb aber und ist seit über 10 Jahren die Arbeit mit Menschen mit psychischen Erkrankungen. Dort arbeitete ich weiter tiergestützt mit meiner Hündin, bis sie irgendwann mit 13 Jahren ging.
Zwei Jahre zuvor zog ihre Nachfolge bei uns ein, eine Groenendael-Collie-Hündin, die bis heute an meiner Seite lebt.

Dieses schwarze Knäuel schien zunächst so alles umzuwerfen, was man sich als Pädagogin mit Vorzeigehund so vorstellt, wenn man einen Welpen dazu adoptiert. Nein, sie schaute sich so ziemlich gar nichts ab von der alten Dame, eher im Gegenteil. Sie benahm sich unmöglich! Dabei hatte ich doch mittlerweile ganz gut Wissen und Erfahrung, viele Hunde aus dem Bekanntenkreis mit betreut und trainiert sowie das Vorhaben, mich im Bereich Assistenzhunde Training fortzubilden. Aber mit einem solchen Hund an der Seite auf Seminare? Sie stellte fremde Menschen anstatt sie toll zu finden, schnappte, wenn jemand sie streicheln wollte, brauchte ewig Zeit um neuen Menschen zu vertrauen und keinesfalls Locken oder Überredungskunst um Freundschaft zu schließen.
Bald stellte ich fest: Verhalten lässt sich trainieren, das Wesen aber nicht!
Sie wollte selbst entscheiden, wann, worauf und vor allem mit wem sie sich einlässt, was sie bis heute beibehalten hat. Unter fachkundiger Anleitung hat  sie gelernt, es adäquater zu zeigen und ich, sie sehr genau zu lesen und ihr diesen von ihr benötigten Raum einzurichten, sodass sie mich nicht nur im Alltag, sondern auch zur Arbeit begleiten kann. Eigentlich doch mein täglich Brot, wurde mir irgendwann klar, denn gerade diese Menschen, die ich begleite, zeigten besonders großes Verständnis für ihr Misstrauen und die Angst, ohne etwas von ihr zu erwarten.
Nach sechs gemeinsamen Jahren weiß ich nun, dass hinter dieser renitenten Persönlichkeit eine hohe Sensibilität steckt, die „ihren auserwählten“ Menschen mit jeweiligen Symptomatiken so zielsicher Unterschiedliches gibt, wenn man sie lässt. Der Depression begegnet sie mit Albernheit, der Paranoia mit Schutz, der Angst mit Beruhigung, der Aggression mit Rückzug, der Dissoziation mit Nähe, ohne dass es ihr jemand beigebracht hat.

Ich lernte durch meine Arbeit in den letzten Jahren nun auch unmittelbar Assistenzhunde Teams kennen und diese Interventionen noch besser zu deuten und manches von dem, was meine Hündin so tat, überhaupt erst zu verstehen. Damit war mein Interesse an der Assistenzhunde Arbeit erneut entflammt, denn diese Profis in ihrer Zusammenarbeit zu erleben, ist einfach faszinierend.
Durch die Begegnung mit Oliver Müller wurden dann letztlich Nägel mit Köpfen gemacht: ich lerne seit diesem Jahr sowohl bei ihm als auch bei Jens und Daniela Karius vom Assistenzhundezentrum Retriever vom Eichelberg, mit dem Ziel, im Sommer 2024 offiziell geprüft und erfolgreich meine Ausbildung zur Assistenzhundetrainerin abzuschließen.

Dipl. Soz.Päd. (FH)
in Ausbildung zur Hundetrainerin + Assistenzhundetrainerin


 

 
 
 
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